Questo sito si serve dei cookie tecnici e di terze parti per fornire servizi. Utilizzando questo sito acconsenti all'utilizzo dei cookie.


***


Vor einigen Jahren reiste ich mit meinem Meister nach Rumänien, um in einem Dojo in Bukarest und
anschließend in einem Dojo in Brașov, im Herzen Siebenbürgens, Kendo zu trainieren. Wir mieteten
ein Auto und fuhren von der grauen Ebene der Walachei in Richtung Karpaten, über
holprige Straßen, auf denen alle möglichen Fahrzeuge unterwegs waren, manche sogar noch von Tieren
gezogen. Wir drangen in die wildesten Berge Europas vor, wo in der Dämmerung Bären auf
Nahrungssuche bis an die Ortschaften herankommen und Burgen weiterhin kriegerische
Geschichten über blanken Stahl hüten … denn das Schwert durchwandert die Zeiten und vereint die
Menschen, von einem Ende der Welt zum anderen. Dies hatte mir vor einiger Zeit auch
Alfredo Rota, Fechter im italienischen Nationalteam in der Disziplin Degen und
Mannschafts- Olympiasieger 2000 in Sydney, eindrücklich bestätigt. Bei einem Treffen und Interview
hatte er – mit mir als Kendoka – Gedanken über die kriegerische Wurzel ausgetauscht, die jede Form
des Fechtens verbindet, sei es das westliche oder das japanische.


In Brașov, einer siebenbürgischen Stadt mit sächsischem Einschlag – bekannt auch für das nahe
gelegene Schloss Bran, das seit dem 13. Jahrhundert als felsige Wacht den Grenzbereich
zwischen der Walachei und Siebenbürgen sichert und der Überlieferung nach die Residenz
des Wojwoden Vlad III. war, des Pfählers osmanischer Eindringlinge und Inspirationsquelle für die
literarische Figur Dracula –, trainierten wir abends im örtlichen Dojo. Dieses befand sich in einer
Schulsporthalle, die für die exotische japanische Fechtkunst umfunktioniert worden war,
mit Umkleideräumen ohne Duschen oder jedweden Komfort, wie man ihn aus der Fitness-Ära kennt. Das
wunderte uns aber nicht besonders: Schließlich befanden wir uns, wenn man es genau nahm, in einer
entlegenen Ecke Europas, in mancher Hinsicht wenig vertraut, während wir eine uralte Kampfkunst
ausübten, die auf der anderen Seite der Welt unter Kriegerclans entstand, die sich das Land der
aufgehenden Sonne mit dem Schwert erstritten.


Nachdem wir uns ausgerüstet und dabei das Bogu – die traditionelle Kendo-Rüstung,
bestehend aus Men (Schutz für Kopf, Gesicht, Hals und Schultern), Dō (Brustschutz),
Tare (Schutz für Unterleib und Hüften) und Kote (Schutz für Hände und Unterarme) – angelegt hatten,

folgten wir einer präzisen Zeremonie aus vorgegebenen Gesten, Abläufen und
zeitlichen Vorgaben. Das alles geschah in absoluter Stille, jener Stille, die den Ausbruch der
Kampfschreie vorausgeht. Dann begannen wir das Training und kehrten zurück zu dem
grundlegenden, ganzheitlichen Prinzip, auf dem das Kendo beruht: ki ken tai (Geist, Schwert und
Körper).

Im Kendo müssen bei jedem Schwerthieb drei unverzichtbare Elemente vorhanden sein (so
unverzichtbar, dass selbst in einem Wettkampf die drei Kampfrichter, um ein ippon – einen Punkt
– zu geben, nicht nur prüfen, ob der Treffer gültig ist, sondern auch eine „qualitative“ Bewertung
dieses ki ken tai vornehmen): Das Schwert (ken) muss korrekt schneiden, an bestimmten
Körperzonen, und es sind niemals zufällige Schnitte zulässig, die nur durch Glück
treffen (der Schlag darf also ausschließlich auf Kopf, Rumpf, Arme oder die Kehle –
tsuki als Stoß – ausgeführt werden, und der Wille, genau diese Stelle zu treffen, muss deutlich
erkennbar sein). Der Körper (tai) muss den Schlag mittragen; ein Schlag, der nur mit den Armen
ausgeführt wird, ist nicht erlaubt. Man muss sich stets nach vorn bewegen, einen Vorstoß
zum Gegner machen, ohne jegliches Zurückweichen. Der Geist (ki) wird gezeigt, indem jeder Angriff
von einem Schrei, einem kiai, begleitet wird.


Dieses ki ken tai ist ein ganzheitliches Prinzip, in dem Form und Inhalt zusammenfallen. Wie
gesagt, setzt es sich aus drei unverzichtbaren Elementen zusammen. Die Form eines jeden ippon birgt
wesentliche Bedeutungen. Zum Beispiel verdeutlicht das tai, also die körperliche Präsenz, einen
aufrichtigen Angriff, weil der Mut des Angriffs nur durch den Vorwärtsdrang des gesamten Körpers
ohne Zögern sichtbar wird. Im Kendo weicht man idealerweise niemals zurück, sondern geht auf den
Gegner zu. Selbst besondere Angriffstechniken, die zwangsläufig ein zanshin nach hinten erfordern
(solche, die aus nächster Nähe ausgeführt werden und bei denen kein Platz für einen offensiven
Vorwärtsimpuls bleibt), verlangen zumindest in dem Moment des Schnittes einen Vorstoß nach vorn. In
jedem Fall zeigt jeder, der zurückweicht, seine geistige Schwäche und ist letztlich zum Verlieren
verurteilt. Es gibt Meister (sensei), die den Gegner sogar allein durch das semé – die nur
scheinbar statische, aber stets vorwärts gerichtete Kontrolle und Spannung gegenüber dem
Gegner – dominieren, während sie in kamae (Wachstellung) Schwert gegen Schwert verharren.
Sie brauchen gar keinen Schlag auszuführen: Sie bleiben in Stellung und zwin- gen den Gegner bloß
durch ihren Druck nach vorn Meter um Meter zurück, ohne dass dieser es überhaupt bemerkt. Kendo ist
eine Disziplin, in der man sich nicht verteidigt, sondern angreift und vorprescht.


Damit Geist und Wille sichtbar werden, ist die Äußerung des kiai, also der Stimme,
entscheidend. Der Schlag wird stets von einem Schrei begleitet. Auch hier ist die Form
ein lebendiger Ausdruck des Inhalts. Was wie bloßes Geschrei wirken mag, offenbart in Wahrheit die
geistige Präsenz und einen klaren Angriffswillen … schließlich würde kein Mensch, der sich in einen
tödlichen Angriff stürzt, stumm bleiben, ohne seinen Geist durch Kampfschreie voll zum Ausdruck
zu bringen (denken wir etwa an jemanden, der aus den Schützengräben stürmt, mit einem
Schwert oder einem Bajonett in der Hand, bereit, sich dem Feind zu stellen).


Das Schwert (ken) muss korrekt schneiden. Der Schnitt wird Übung für Übung sorgfältig
erlernt und muss stets die richtigen Ziele treffen: Kopf (men), Handgelenke (kote), Rumpf (dō)
und der Stoß zur Kehle (tsuki). Zufällige Treffer sind nicht erlaubt; Präzision und
Wille sind unerlässlich. Auch deshalb sollte der kiai-Schrei den Schlag eindeutig begleiten. Die
Stimme muss gleichzeitig mit dem Treffer das exakte Ziel benennen. Dies zeigt, dass der
Schlag von einer klaren Absicht getragen ist und nicht dem Zufall überlassen wird.

„Als Kind hasste ich vor allem diese charakteristischen Schreie des Kendo“, schreibt Yukio
Mishima, selbst Kendōka, im Oktober 1964 in einem Artikel für die Zeitung Yomiuri Shinbun.


„Diese unglaublich vulgären, wilden, bedrohlichen, schamlosen, zutiefst körperlichen, unzi-
vilisierten und ungebildeten, irrationalen, tierischen Schreie erfüllten meine schamhafte Jungen-
seele mit Scham. Allein der Gedanke, einen solchen Schrei ausstoßen zu müssen, war mir uner-
träglich, und wenn die anderen schrien, wollte ich am liebsten fliehen, um sie nicht
hören zu müssen. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, hat sich die Situation völlig umgekehrt:
Dieser Schrei, ob meiner oder der eines anderen, bereitet mir Freude. Ich lüge nicht,
ich liebe diesen Schrei wirklich. Welche Wandlung hat in mir stattgefunden? Meines
Erachtens besteht sie in der Er- kenntnis, dass dies der Schrei des ‚Japan‘ ist, der in der
Tiefe meiner Seele schlummert. In diesem Schrei offenbart sich das, wofür sich das moderne
Japan schämt, was es krampfhaft zu unter- drücken und zu verbergen versucht. Er ist mit den
dunkelsten Erinnerungen verknüpft, mit vergos- senem, lebendigem Blut; er entspringt den
wahrhaftigsten Erinnerungen an die Vergangenheit. Es ist der Schrei der tiefen Schichten des
Volksbewusstseins, die auch unter der oberflächlichen modernen Zivilisation heimlich
weiterströmen. Dieses monströse Japan, heute gefesselt und ausgehungert, ist geschwächt
und stöhnt, kann aber in den Kendō-Hallen noch durch unsere Münder schreien. Es ist
seine einzige Chance auf Freiheit. Jetzt liebe ich diesen Schrei aus tiefstem Herzen. Und
mir erscheint die Haltung des heutigen Japan, das diesem Schrei hartnäckig die Augen verschließt,
vollkommen oberflächlich.“


In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Yukio Mishima intensiv dem Kendō und verkörperte
dessen ureigensten Geist. Und selbst wenn beinahe sicher ist, dass Mishima weder ein Kenner noch
ein Experte für Katanas war, so war das Schwert, das er für seinen Seppuku verwendete,
ein außergewöhnliches Stück. Er hatte es vom Besitzer der Buchhandlung Taseidō in Tokio, Hiroshi
Funasaka, geschenkt bekommen.


Funasaka trainierte Kendō im selben Dōjō wie Mishima und besaß einen höheren Rang als der
Schriftsteller. Eines Tages, nach dem Training, fragte er Mishima, ob dieser eine
Katana besitze. Mishima verneinte, woraufhin Funasaka anbot, ihm eine seiner Schwerter aus der
eigenen Sammlung zu schenken. Der Schriftsteller nahm an; er besuchte Funasaka zu Hause und
entdeckte unter den fünfundzwanzig ausgestellten Schwertern eines, das ihn besonders
faszinierte. Es handelte sich um eine Kriegskatana, angefertigt im 16. Jahrhundert von
Meister Seki no Magoroku.


„Sie weist zwei Absplitterungen auf, weil sie in einer Schlacht benutzt wurde“,
erklärte Funasaka.


„In einer Schlacht benutzt? Gut, dann denke ich, dass sie das richtige Schwert für mich ist“,
antwortete Mishima und traf seine Wahl.


Es handelte sich um einen der grundlegenden Grundsätze des Kendō: Das Schwert ist kein seelenloser
Gegenstand, sondern es schwingt seine Vergangenheit mit, trägt das Gewicht seiner Geschichte und
übermittelt zugleich die Verantwortung, ein Menschenleben nehmen zu können.

An jenem Abend in Brașov, inmitten der Karpaten, gingen wir nach Beendigung des Trainings in eine
Brauerei im Stadtzentrum, um uns zu stärken und von unseren jeweiligen Erfahrungen auf dem Weg des
Schwertes (dō: Weg, ken: Schwert, Kendō) zu erzählen. Irgendwann kam ich auf eine Anekdote zu
sprechen, die sich Jahre zuvor in meinem Dōjō ereignet hatte, zu der Zeit, als ich anfing, das Bogu
zu tragen und zu kämpfen. Während eines Kampfes (gigeiko) mit meinem Meister – demselben, der
jetzt mit mir in diesem entlegenen Winkel Europas war, um den Schwertweg zu lehren –
bemühte ich mich nach Kräften, bestmöglich anzugreifen, jedoch ohne jeden Erfolg. Außerdem ließ
mein Meister jedes Mal, wenn ich angriff, mich nur ein wenig an ihm vorbeiziehen, um mich dann hart
von hinten mit dem Shinai zu treffen, mitten auf den Hinterkopf

(eine kaum geschützte Stelle, die bei einem Treffer sehr schmerzhaft ist). Nach drei
oder vier Schlägen auf diese nahezu ungeschützte Zone des Kopfes begriff ich, dass er mir damit
(ohne ein einziges Wort, nur durch die Treffer) etwas über das zanshin beibrachte.


Zanshin ist die Bewegung des Körpers nach dem Schnitt im Moment des Angriffs. Es besteht im
Wesentlichen darin, dass sich die beiden Kontrahenten gegenseitig überschreiten, nachdem sie sich
im Angriff „aufeinandergeworfen“ haben. Sie gehen aneinander vorbei, kehren sich für kurze Zeit
den Rücken zu und gelangen schließlich in eine „Sicherheitsposition“, in einen Zustand
gegenseitiger Wachsamkeit. Mit anderen Worten: Ausgehend von der kamae (der vorderen
Grundstellung), stürmt man beim Angriff auf den Gegner zu, zieht jedoch an ihm vorbei
und entfernt sich so weit, dass man nicht mehr in Reichweite seiner Waffe ist. In der Praxis zeigt
das zanshin, dass der Schnitt nicht bloß mit den Armen, sondern durch den Vorwärtsdrang
des gesamten Körpers ausgeführt wurde. Begrifflich hingegen steht es für jene sichere und wachsame
Haltung, die man nach einem Angriff einnehmen muss: Man wendet dem Feind den Rücken zu, obwohl er
noch am Leben sein könnte; deshalb darf man nach einem Angriff nicht stehen bleiben, sondern muss
weitergehen, bis man in einer sicheren Position ist, von wo aus man einen weiteren tödlichen Stoß
führen könnte.


An jenem Abend führte mein unkorrektes zanshin (ich brach meinen Angriff zu früh ab und bot dem
Gegner und seiner Klinge den ungeschützten Rücken, was mein Meister mir durch Treffer
auf den Hinterkopf verdeutlichte) dazu, dass ich den Schlag nicht optimal ausführte. So
konzentrierte sich jenes Lehrstück über das zanshin auf die Bedeutung jedes einzelnen Schlags,
jedes einzelnen Angriffs.


Tatsächlich ist der Geist des Kendō nicht der des Überlebens, sondern der des Todes.
Im ursprünglichen feudalen Geist gehen diejenigen, die gegeneinander antreten,
ihrem Ende entgegen. Wer verliert, stirbt unter dem einzigen, blitzschnellen Todesstoß
des Gegners. Doch auch der Sieger stirbt: Nachdem er den Feind besiegt hat, wartet auf einen
Samurai das Ende in einem der nächsten Duelle oder im Seppuku vor seinem Herrn. Und
keiner der Kontrahenten weiß, ob er beim gegenwärtigen Angriff oder beim nächsten sterben wird.
Zanshin, verstanden als Form, als ästhetische Vollendung des Schlags, ist daher von wesentlicher
Bedeutung. Im Kendō birgt die Schönheit des Schlags dessen ureigene Essenz. Wer angreift und
erkennt, dass er „tot“ ist
– weil ihn das schnellere Schwert des Gegners getroffen hat (der Angriff erfolgt fast
immer zugleich von beiden Kontrahenten) – falls er dann innehält und den Schlag nicht vollendet,
verrät er diese Essenz … Lieber mit dem schönsten Schlag sterben, ihn bis zuletzt
vollenden, selbst wenn es am Ausgang des Kampfes nichts mehr ändert.


Wer gerade erst auf dem Weg des Schwertes ist und aus seiner gewohnten Welt kommt, wo jeder Einsatz
stets nur unter praktischen und materiellen Gesichtspunkten bewertet wird, meint oft, dass ein
eigener Angriff hinfällig wird, sobald er der gegnerischen Klinge zuvorgekommen ist. Die
„Arbeit“ sei dann getan und weiteres Mühen nur eine Verschwendung. Im Dōjō, in jenem
Kampf mit meinem Sensei, brach ich jeden Angriff tatsächlich ab, sobald ich merkte, dass mein
Meister mir zuvor gekommen war. Die richtige Einstellung eines Kendōka ist jedoch genau das
Gegenteil davon. Unter den Samurai hatte der Sieger eines Duells die Möglichkeit, in einem späte-
ren Kampf die Schönheit seines Schlages weiter zu verfeinern, doch wer unterlag, war tot und hat-
te keine weitere Chance – er musste seinen schönsten Schlag zeigen. Gerade in der Niederlage ist
die Schönheit entscheidend. Angesichts des Todes muss man sich nämlich mit dem eigenen besten
Angriff präsentieren, schön bis zum allerletzten Schritt des zanshin, schön bis zum Schluss.

Eine Haltung, eine Einstellung, eine geistig-spirituelle Bereitschaft, vorwärtszustreben, sogar
über den Körper des eigenen Gegners hinaus.
„Die Einstellung eines Mannes. Die Einstellung eines Mannes geht Hand in Hand mit dem, was

sein Leben sein wird“, sagt der geheimnisvolle Cowboy in Mulholland Drive, dem Film
von David Lynch, als er mitten in der Nacht Adam begegnet, dessen goldene Welt in wenigen Stunden
zusammengebrochen war, sodass er alles Materielle verloren hatte. Doch auf dem Weg des
Schwertes reicht das „Über-sich-hinausgehen“ über die bloße aktive, offensive Haltung gegenüber
jeder Schwierigkeit hinaus, über das Überwinden jedweder Form von Hindernis (was
freilich eines der vielen indirekten Lehrstücke des Kendō bleibt). Es ist nicht einfach
eine typische amerikanische Vorwärtsmentalität wie beim Goldrausch, beim
Klondike-Pioniergeist, beim hemmungslosen Vordringen in die Grenzgebiete, bei den wilden
Ritten im Western oder beim zwanghaften Erobern, das sich daraus speist, niemals stehen
zu bleiben … Die Einstellung auf dem Weg des Schwertes ist zwar Mut und Wagemut, doch ohne die
Notwendigkeit, daraus ein materielles Ziel abzuleiten oder es an die Eroberung eines Guts oder
eines greifbaren Ergebnisses zu knüpfen. Diese auf einen materiellen Zweck gerichtete Haltung
bezieht sich unvermeidlich, ja unentrinnbar, nur auf das Leben, während sie den Tod konsequent aus
jedem Gedanken verbannt
… und „das Handwerk des Samurai ist der Tod“, schreibt Mishima. „So friedlich auch die Zeiten sein
mögen, der Tod ist der höchste Antrieb für den Samurai. Im heutigen Japan, mit einer
Verfassung, die den Krieg verbietet, dürfte es eigentlich niemanden geben, der den Tod zu seinem
Beruf macht. Das demokratische Zeitalter fußt auf dem Grundsatz, dass es das Beste ist, möglichst
lange zu leben.“


Der Geist des Kendō ist also nicht der des Vorwärtsdrängens, um das Leben zu verbessern oder sich
ein angenehmeres Überleben zu sichern. Er ist der Geist des Todes. Immer und in jedem Fall, wie
mir mein Meister an jenem Abend mit den schmerzhaften Schlägen seines Bambus- schwerts
auf den Hinterkopf beibrachte: Er machte mir durch die Waffen klar, nicht durch Worte, dass die
Einstellung stets die eines Angreifenden sein muss, der vorwärts und noch weiter geht, ungeachtet
des Endergebnisses; derjenige, der in den Zweikampf seinen besten Schlag einbringt, weil dies aller
Wahrscheinlichkeit nach der letzte Schlag seines Lebens sein wird.


„Ein paar Minuten, bevor das Kendō-Training begann, während ich in der Sporthalle auf die anderen
wartete, sah ich mich um. Gleich sollte eine Step-Stunde anfangen“, schreibt Christopher Ross, ein
Kendōka, der einige Jahre nach Mishimas Tod nach Japan gereist war, um heraus-
zufinden, was mit der Schwertklinge Seki no Magoroku geschehen war, die der Schriftsteller für
seinen Seppuku benutzt hatte.


„Etwa zwanzig Mädchen in Trainingsanzügen mit grellen Farben und ein einzelner, leicht
beleibter Mann in Fußballshorts und Unterhemd bewegten sich durcheinander und stellten kleine
Holzpodeste auf. Eine Frau, von Kopf bis Fuß in leuchtendem Pink gekleidet und mir unbekannt (sie
musste neu sein), hörte Musik mit ihrem Walkman und trug eine ebenfalls pinkfarbene
Sonnenbrille, die sich fast wie eine Skibrille um ihr Gesicht legte. Sie starrte mich
hinter den rosafarbenen Gläsern an, mit einem Blick, der mir verächtlich vorkam. Ich erwiderte
ihren Blick, stellte meine Beine etwas auseinander und stützte mich auf den Griff meines Schwerts,
ohne mir etwas anmerken zu lassen. Der Abgrund zwischen uns war riesig: Hunderte von Jahren,
Tausende von Kilometern, ein Unterschied zwischen zwei Zivilisationen. Sie war hier, um zu tanzen,
um Spaß zu haben, zu zeigen, dass sie Pink liebte und sich fit zu halten. Ich hingegen, gekleidet
wie ein Krieger des japanischen Feudalzeitalters, Angehöriger einer längst ausgestorbenen Kaste,
war hergekommen, um zu lernen, wie man tötet.“

 

Federico Goglio trainierte rund fünfzehn Jahre lang Kendō in einem Dōjō am Stadtrand von Mailand,
das zur Confederazione Italiana Kendo (dem nationalen Verband, der der weltweit einzigartigen
International Kendo Federation angehört) gehört. Er trägt den schwarzen Gürtel und erreichte am 9.
Juni 2013 in Modena den dritten Dan, nachdem er sich einer Prüfungskommission unter Vorsitz
japanischer Meister gestellt hatte. Mehrere Jahre lang nahm er an den italienischen
Meisterschaften teil. Er kämpfte in mehreren internationalen Wettbewerben (Athen, Dublin,
Stockholm) und trainierte Kendō außerdem in Rumänien (Bukarest und
Brașov) sowie in Russland (Moskau und Sankt Petersburg).